Wenn die Leistungen im Freitauchen stagnieren
Alles, was mit Lernen, Entwicklung, Wachstum, oder Leistungssteigerung zu tun hat, unterliegt einer unbestimmten Größe, die gleichwohl ihre eigenen Gesetze hat. Unbestimmt, da sie beim Menschen der individuellen Wahrnehmung unterliegt und somit eine eigene Dimension darstellt: die Zeit. Dies gilt auch beim Freitauchen.
Zeit als Zyklus
Wir Menschen haben das Phänomen Zeit als Orientierung schätzen gelernt. Die wohl bekanntesten Beispiele hierfür sind die Zyklen der Natur wie der Tag – Nacht – Zyklus, oder die Jahreszeiten. Da diese Zyklen von der Umlaufbahn der Erde und ihrer Position zur Sonne abhängen, können wir davon ausgehen, dass die Zyklen auf das gesamte organische Leben auf unserem Planeten einen direkten Einfluss haben. So verfügen die Lebewesen, und damit auch wir Menschen, über einen Wach – Schlaf – Rhythmus. So reagiert zum Beispiel unsere Zirbeldrüse bei Einbruch der Dunkelheit mit der Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Wir werden folglich müde und wollen schlafen. Das heißt aber auch, dass unser Körper und unser Geist die Chance bekommen das Tagesgeschehen zu verarbeiten und sich zu erholen.
Zeit als Erholung
Den Zyklen der Natur folgend verfügt der menschliche Organismus zum Wach – Schlaf – Rhythmus weitere Prozesse, die allerdings abhängig sind von Geschehnissen, Eindrücken, Aktivitäten und Emotionen. Diese Prozesse können z.B. sein: körperliche Anstrengung, geistige Anstrengung, Angstzustände mit Kampf – und Fluchttendenzen, Freude, tiefe Entspannung. Für all diese Prozesse verfügen wir über ein vegetatives Nervensystem, das je nach Zustand unterschiedlich aktiv ist. Die Rede ist vom sympathischen und parasympathischen Nervensystem. Ersteres wird bei körperlicher Anstrengung wie Sport, Arbeit und bei Angstzuständen aktiv, die dann den sogenannten Kampf – Fluchtreflex auslösen. Zweites wird zur Erholung und Entspannung aktiv. Das bedeutet, dass nach einer Stressphase, egal ob positiver oder negativer Stress, der Körper unübersehbare Zeichen für die Erholungsbedürftigkeit sendet. Folgen wir diesen Zeichen, erholen wir uns und Körper und Geist können das Erlebte verarbeiten und abspeichern.
Zeit als Stress
Da der moderne Mensch die größtmögliche Nutzung von Zeit, die er selbst in Stunden, Minuten und Sekunden eingeteilt hat, priorisierte, ist die Phase der Erholung immer mehr in den Hintergrund getreten. Unter dem berüchtigten Zeitdruck zu erledigenden Arbeiten im Beruf, Schichtarbeit, größere Verantwortungen, monotone Tätigkeiten und dergleichen, haben den allgemeinen Stresslevel erhöht. Die gewünschte Erholung reduzierte sich auf den Jahresurlaub, der das nicht leisten kann, da die Entspannungszeiten des menschlichen Organismus auch der circadianen (ungefähre 12 Stunden…) Periodik unterliegen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Erholungsphasen von einem immer höheren Stresslevel aus zu erreichen sein müssen. Irgendwann hat sich aber unser Organismus an die neuen Sollwerte des Stresses gewöhnt, und es fällt zunächst nicht mehr auf. Bis dann irgendwann klar wird, dass das Erreichen neuer Leistungen, das Trainieren und Lernen immer schwieriger wird
Was bedeutet das für den Freediver?
Das Freitauchen beruht auf dem Prinzip der geistigen und körperlichen Entspannung. Inzwischen wissen wir, dass die Reduktion des Sauerstoffverbrauches der Schlüssel für ein langes Luftanhalten ist. Geraten Apnoetaucher in eine geistige Erregung, zeigt sich das sofort auch körperlich. Es wird Adrenalin ausgeschüttet, Puls und Sauerstoffverbrauch steigen. Hier sei angemerkt: Jeder noch so harmlose Gedanke erzeigt eine Spannung im Nacken beim Freitauchen. Es zeigt, dass oftmals der Weg von der alltäglichen Betriebsamkeit in Familie und Beruf hin zu einer tiefen Entspannung für einen Tauchgang immer länger wird, was eine immer längere Vorbereitungszeit in Anspruch nimmt, also wieder Zeit kostet.
Was sagt die Hirnforschung dazu?
Die Erkenntnisse sind deutlich: Der Erfolg der Lernprozesse auf allen Ebenen, egal ob sportliche Leistungen, geistige Schulung etc., hängt von der Freude, der Muße, dem positiven Umfeld und der Zeit ab. Wenn nun ein Mensch das Freediving für sich gerade entdeckt, sich über seine unerwarteten Leistungen freut, die am Anfang sehr häufig beeindruckend sind, ist die emotionale Grundstimmung ein idealer Boden um hier weiterzukommen. Der Kopf ist frei, die Freude und das Lachen schütten die entsprechenden Entspannungshormone aus und der gesamte Körper lernt und konditioniert sich neu. Ein negatives Umfeld lässt keine positive Entwicklung zu.
Was also tun bei Stagnation?
Kommt der Moment, an dem plötzlich nichts mehr weitergeht, gilt erst mal folgendes zu überprüfen:
- Häufigkeit des Trainings
- Art und Weise des Trainings
- Berufliche Situation
- Familiäre Situation
- Gesellschaftliches Umfeld
- Nächtliche Ruhe
- Allgemeiner Gesundheitszustand
- Erwartungshaltung (oft unbewusst)
- Zielsetzungen
Der häufigste Grund ist das Übertraining (zu viel Sympathikus – Aktivität), wenn etwas stagniert. Hier gilt das Loslassen. Ganz bewusst längere Pausen einlegen. Keine Wasserzeiten. Einfach mal etwas anderes machen. Das Gehirn, unser Nervensystem und alles was daran geknüpft ist, lernt immer weiter. Das Training selbst ist nichts andere als das Setzen von Impulsen. Empfohlen sind daher Änderungen der Trainingszyklen. Oft muss ein neuer Stimulus her, der neue Kanäle öffnet. Erwartungen können sein: die bisherige Leistung nicht mehr unterbieten zu wollen. Das bedeutet Druck! Das Vorhaben in einem Training eine neue Bestleistung zu erreichen. Das erzeugt noch mehr Druck. Was passiert: der Organismus lässt sich nicht mehr auf Tauchgänge vorbereiten, weil er im Druckmodus ist, und ihn das sehr fordert. Zielsetzungen im Freitauchen sind daher nicht unbedingt von Vorteil, da es unser Körper ist, der uns sagt, wann es weitergehen kann. Bis dahin ist das Experimentieren oder Probieren neuer Trainingsstrategien, und Spaßtauchen angesagt. Dann, wenn wir es am wenigsten erwarten, kommt meist ein neuer Sprung.
Gewöhnung ist Zeit
Wenn Freediver in neue Leistungsdimensionen vorgestoßen sind, brauchen sie Zeit um diese neuen Werte zu manifestieren. Erst wenn diese neuen Leistungen immer öfter oder immer leichter abgerufen werden können, ist aufgrund der neuen körperlichen Disposition eine Weiterentwicklung möglich. Dabei ist es nicht selten, dass wir die Geduld von bis zu einem Jahr oder länger aufbringen sollten. Fazit: Lass los, und bewahre dir die Freude beim Freitauchen.